Projekt unter der Ehrenschirmherrschaft des Präsidenten der Republik Polen Andrzej Duda Das Projekt wird durch das Ministerium f Auswärtige Republik PolenAngelegenheiten der Republik Polen mitfinanziert Ministerium f Instytut Łukasiewicza Kraków 2016 Wie war es wirklich? Deutsche Lager, polnische Helden redaktionelle Bearbeitung von Interviews: Maciej Zdziarski Redaktionsteam: Maciej Zdziarski, Aleksandra Wójcik, Magdalena Stokłosa, Marcin Widomski, Katarzyna Nowak graphische Bearbeitung: Tomasz Żyłko, Maciej Pietrzyk Satz: Tomasz Żyłko Fotos: Andrzej Banaś, Jacek Panuś STUDIO REKLAMY JASKÓŁCZA 4, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, Niepokalanów-Archiv, Familie Ulma-Museum für polnische Judenretter in Markowa, Institut für Nationales Gedenken (IPN), Andrzej Romański, Mariusz Szachowski/Museum der polnischen Geschichte MHP, Damian Klamka/ East News, Wikipedia sprachliche Korrektur und Bearbeitung: Skrivanek, Rotkel Koordinierung des Projekts: Krzysztof Tenerowicz wissenschaftliche Mitarbeit: Dr. Martyna Grądzka-Rejak deutsche Fassung: Aleksandra Hill ISBN 978-83-942750-7-5 Das Projekt wird – im Rahmen des Wettbewerbs „Förderung der Außenpolitik der Republik Polen durch Selbstverwaltung und Bürgerinitiativen 2016” – durch das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten mitfinanziert. Alle auf der Website geposteten Publikationen vertreten lediglich die Ansichten der Autoren und sind nicht mit dem offiziellen Standpunkt des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Polen gleichzusetzen. Republik Polen Ministerium f Die Publikation „Wie wahr es wirklich? Deutsche Lager, polnische Helden” wird als Creative Commons Lizenz 3.0 Polen veröffentlicht. Einige Urheberrechte sind der Stiftung Łukasiewicz-Institut vorbehalten. Das Werk entstand im Rahmen des Wettbewerbs „Förderung der Außenpolitik der Republik Polen durch Selbstverwaltung und Bürgerinitiativen 2016” . Das Werk steht allen Interessierten frei zur Verfügung. Die Vorbedingung für jede Nutzung ist das jeweilige Nennen der oben stehenden Informationen, darunter Auskünfte über CC-Lizenzvetrag, Urheberrechte sowie den Wettbewerb „Förderung der Außenpolitik der Republik Polen durch Selbstverwaltung und Bürgerinitiativen 2016”. www.wiewareswirklich.eu Le über »polnische Todeslager« A usländische Medien verwenden relativ oft die unkorrekte Wortfügung »polnische Todeslager/polnische Konzentrationslager«. Das Außenministerium der Republik Polen hat allein 2008-2014 über 600 Mal gegen diese Formulierung eingreifen müssen. Dieser unwahre Ausdruck wurde von Massenmedi-en in 36 Ländern benutzt – am häufigsten in den Vereinigten Staaten (110), in Großbritanien (97) und Deutschland (77). Die Formulierung »polnische Todeslager« diffamiert Polen und kann einen fremdenfeindlichen Charakter haben. Polen ist ein Land, das infolge der verbrecherischen Politik Nazi-Deutschlands am meisten gelitten hat. Diese For-mulierung legt nahe, dass die Polen für die in den Konzentrations-und Vernichtungslagern begangenen Verbre-chen verantwortlich sind. Wie war es wirklich? Der polnische Staat hat weder an der Erbauung der Lager mitgewirkt noch sie verwaltet oder aus ihnen einen Nutzen gezogen. Im Zweiten Weltkrieg ließ sich Polen nie auf eine Kollaboration mit den Deutschen ein. Der Staat gehörte von Anfang bis zum Ende des Krieges der Allianz der gegen das NS-Regime kämpfenden Länder an. Es waren nicht die Polen, sondern die Deutschen, die die Lager errichtet sowie betrieben haben. Die Lager entstanden auf den von Deutschen besetzten Gebieten Polens und fielen in den Verantwortungsbereich der SS. In diese an der Planung wie an der Durchfrung des Holocausts und anderer Vkermorde herausragend beteiligten Organisation wurde nie ein Pole aufgenommen. Die Tatsache, dass es im heutigen Polen viele Gedenkstätten gibt, die an unzählige Verbrechen während der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg erinnern, rechtfertigt keinesfalls den Gebrauch der Wortfung »polnische Lager«. Das Symbol der deutschen Gräueltaten, Auschwitz-Birkenau, war ursprünglich als ein Konzentrationslager angelegt, in dem polnische Bürger ausgerottet werden sollten. Die polnische Exilregierung alarmierte von Anfang an die Weltöffentlichkeit und lieferte Informationen über die deutschen Aktivitäten »hinter dem Stacheldraht«. Die hero-ische Tat von Witold Pilecki, der freiwillig nach Auschwitz ging und in seinen Berichten den grausamen Lageralltag schilderte, blieb seitens der Alliierten ohne Echo. Angesichts des groß angelegten industriellen Völkermordes, der in deutschen Lagern betrieben wurde, zeigten viele Polen ein beispielloses Heldentum. Sie trotzten dem Bösen und riskierten dafür ihr Leben. Wie etwa der hei-lig gesprochene Maximilian Kolbe, der in Auschwitz sein Leben für das eines anderen Häftlings opferte und einen unvorstellbar qualvollen Tod starb. Die Unterstellung, dass Polen sich an dem deutschen System der Massenvernichtung beteiligt habe sowie die Formulierung »polnische Lager« zielen darauf, unser Volk zu verunglimpfen. Besonders schmerzhaft sind sie für die noch lebenden polnischen Insassen deutscher Konzentrationslager: Opfer pseudomedizinischer Versuche oder Mitglieder der Untergrundbewegung.Die Widerständler traten den deutschen Besatzern entschlossen entgegen und setzten nicht selten ihr Leben aufs Spiel. Der Preis für ihre Tapferkeit war die Inhaftierung in Konzentrationslagern. Die Überlebenden sind Menschen, die durch die Hölle auf Erden gingen. Unsere Zeitzeugen erzählen trotz hohen Alters und sie plagender Gebrechen ihre Geschichten. Es ist unsere Pflicht, sie weiterzugeben. Wir wollen zeigen, wie es wirklich war. Foto Andrzej Banaś Karol Tendera: Geschichtsfälscher müssen bestraft werden – Ich fle mich verunglimpft. Ich werde beschuldigt, an Morden teilgenommen zu haben, aber das Opfer war doch ich! –mit solchen Worten reagiert Karol Tendera, wenn er in ausländischen Medien den sich wiederholenden Ausdruck „polnische Konzentrationslager” hört. Der inzwischen 95jährige ehemalige Auschwitz-Häftling kämpft deshalb mit unglaublicher Energie und Entschlossenheit gegen diese historische Le. Er verklagte sogar den deutschen Fernsehsender ZDF. Dies geschah, nachdem im ZDF von den „polnischen Vernichtungslagern Majdanek und Auschwitz” die Rede gewesen war. Herrn Tendera wurde sofort klar, dass er reagieren muss.Er erhob gegen den Sender eine Zivilklage, in der er eine öffentliche Entschuldigung sowie Schmerzensgeld in Höhe von 50 Tsd. Euro für gemeinnützige Zwecke forderte. Ich will, dass die Geschichtsfälscher sich bei dem polnischen Staat und dem polnischen Volk entschuldigen und f ihre Verleumdungen bestraft werden betont Karol Tendera. Am 1.September 1939,zu Beginn der deutschen Besatzung Polens war der 1921 in Krakau geborene Karol 18 Jahre alt. Er besuchte in seiner Heimatstadt die Technische Berufsschule in der Krupnicza-Straße. Im Herbst 1940, direkt vom Unterricht abgeholt, wurde der junge Karol zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschickt. Über zwei Jahre musste er in einem Arbeitslager bei Hannover zerstörte Kriegsflugzeuge reparieren. Im Mai 1942 gelang ihm ein Fluchtversuch und infolgedessen die Rückkehr nach Krakau. Die Freude über die gewonnene Freiheit währte jedoch nur einige Mo-nate.Bereits im Januar 1943 wurde Karol Tendera festgenommen.Zuerst wurde er in den Krakauer Sitz der Gestapo in der Pomorska-Straße und dann ins Gefängnis in der Montelupich-Straße gebracht. Im Februar 1943 hieß es für ihn: Abtransport nach Auschwitz. – »Hunderttausendvierhundertdreißig« – sagt der Krakauer in einem Atemzug auf Deutsch die auf seinem Unterarm eintätowierte Lagernummer. – Das war in Auschwitz mein Name. Er wusste sofort, dass er in die Hle kam. – Karol Ten-dera: »Ihr seid hier nicht in ein Sanatorium gekommen, sondern in ein deutsches Konzentrationslager, aus dem es keinen anderen Ausgang gibt als den durch den Schornstein« – hörten als Begrüßung die im Lager angekommenen Häftlinge. Bis heute erinnert sich der ehemalige KZ-Insasse an jeden Tag in Auschwitz-Birkenau: an die mörderische Arbeit bei der Aushebung der Straßengräben, an die schmerzhaften Hiebe des deutschen Lagerpersonals sowie an den herrschenden Hunger und Durst. – Ich war erzeugt, dass ich dem Tod nicht entkomme – gesteht er. Obwohl er Auschwitz doch überlebt hat, bedeutete dies für ihn keine Befreiung. Im Herbst 1944 wurde Karol Tendera nach Leitmeritz, (tschechisch: Litoměřice) in ein Nebenlager des deutschen KZs Flossenbürg deportiert, wo er bis zum Kriegsende gefangen gehalten wurde. – In Auschwitz war ich Mitglied der dort von Witold Pilecki gegrdeten Widerstandsbewegung. Ich kämpfte f mein Va-terland, setzte daf mein Leben aufs Spiel – sagt Karol Tendera. Daher fällt es ihm sehr schwer, sich mit Formulierungen wie „polnische Konzentrationslager” abzufinden, die Verantwortung f deutsche Verbrechen ihren polnischen Opfern in die Schuhe schieben. – Ich muss ständig alles berichtigen, ins rechte Licht rken und erklären, wie es wirklich war. Eines Tages hat mich eine alte Deutsche gefragt, was f Leute wir Polen in unseren Lagern inhaftiert und ermordet hätten – nennt Karol Tendera als Beispiel für seine Aufklärungsarbeit. Foto Andrzej Banaś Julian Wieciech: Man muss der Welt die Wahrheit zeigen Wie viele Male er von den SS-Männern brutal misshandelt wurde, kann er nicht einmal zusammenzäh-len. Innerhalb einiger Monate ging er durch die Hle von drei Konzentrationslagern. – Die Deutschen sag-ten, es gäbe f uns nur einen Weg in die Freiheit, und zwar als Rauch durch den Krematoriumsschlot – erzählt Julian Wieciech, Soldat der polnischen Heimatarmee und ehemaliger Häftling der KZs Groß-Rosen und Bergen-Belsen. Am Sonntagmorgen, dem 29. Oktober 1944, wurde der damals 17jährige Julian von Zuhause in Lipnica Dolna abgeholt und in ein Gefängnis nach Bochnia abtransportiert. Das Verhör war äußerst grausam, man schlug und trat ihn. Er gab trotzdem seine wahre Identität nicht preis. Er gab vor, sein Name sei Kwiecień und er würde als Knecht bei den Wieciechs arbeiten. In Wirklichkeit kämpfte Julian Wieciech als Fähnrich unter dem Deckna-men „Wichtel” in der Heimatarmee. Er nahm sogar an einer spektakulären Aktion zur Befreiung von 128 polni-schen politischen Häftlingen teil, die im Zuchthaus in Nowy Wiśnicz eingesperrt waren. Dadurch wurden sie vor der Deportation nach Auschwitz gerettet, die am nächsten Tag stattfinden sollte. Bei dem Verhör schlugen die Täuschungsmanöver von Herrn Wieciech jedoch fehl, die deutschen Vernehmer glaubten ihm seine Geschichte nicht. Als Folge davon durchschritt Julian Wieciech Anfang Dezember das Lagertor des KZ Groß-Rosen und sah als Erstes die berüchtigte Toraufschrift „Arbeit macht frei”. Im Lager war die Misshandlung der Häftlinge an der Tagesordnung. Ohne den geringsten Grund konnte man gettet werden. – Eines Tages hat einer absichtlich die Katze des Blockältesten getreten und mir wurde daf die Schuld in die Schuhe geschoben. Der Blockälteste wurde rasend. Wutentbrannt schlug er mich mit den Fäusten und trat mich. Als ich zu Boden fiel, trampelte er auf mir herum. Überzeugt, dass ich tot bin, ließ er meinen Kper in eine kleine Abstellkammer bringen – erinnert sich der ehemalige KZ-Insasse. Seine Mithäftlinge bemerkten jedoch, dass er noch atmete und halfen ihm. So kam er mit dem Leben davon. Selbst in den kritischsten Momenten des Lageralltags blieb Julian Wieciech den Prinzipien eines Soldaten der Heimatarmee treu. Nie ging er auf die Kollaborationsangebote mit den Deutschen ein. Als ihn die SS-Männer ei nen betenden Priester schlagen ließen, lehnte er das entschieden ab, wofür er schwere Hiebe einstecken musste. Der Priester rief mir zu: „Schlag mich, Gott wird dir das verzeihen. Schlag mich, sonst bringen sie dich um!” Ich hab´ das trotzdem nicht gemacht erzählt „Wichtel”. Am 8. Februar 1945 wurde das KZ Groß-Rosen evakuiert. Infolgedessen verbrachte Julian Wieciech zuerst einige Wochen im KZ Mittelbau-Dora und dann, Anfang April, eine Zeitlang im KZ Bergen-Belsen. Er war einer der weni-gen, der die mehrtägige, mühselige Reise in überfüllten Zügen und ohne ausreichende Wasser-und Nahrungsvorrä-te überlebte. Bergen-Belsen sollte nun die letzte Station seines Lebens sein. Julian Wieciech: – Als wir das Lagertor betraten, hten wir den Satz: „Aus diesem Lager gibt es nur einen Ausweg – durch den Schornstein des Krematoriums”. Jeder Tag in Bergen-Belsen war ein Kampf ums Überleben. Als am 15. April 1945 ein Militärwagen durch das Lagertor fuhr und ein britischer Offizier den Häftlingen in sieben Sprachen verkündete, sie seien frei, war der Gesundheitszustand vom gerade befreiten Gefangenen Wieciech kritisch. Er wog lediglich 36 Kilo, die Ärzte ga-ben ihm 10 Minuten zu leben. – Der polnische Staat muss gegen die Le er „polnische Konzentrationslager” ankämpfen. Er muss der Welt zeigen, wie viele Menschen von deutscher Hand umgebracht wurden – appelliert der KZ-Überlebende Julian Wieciech. Foto Andrzej Banaś Lidia Maksymowicz: Der größte Friedhof der Welt Bis heute sieht man an ihrem Kper Spuren von Impfungen und Injektionen, die die unmenschlichen Experimente von Lagerarzt Josef Mengele hinterlassen haben. Trotzdem hat Lidia Maksymowicz als klei-nes Kind das KZ Auschwitz erlebt. – Ich kam als eine der wenigen mit dem Leben davon. Offenbar hat Gott es so gewollt, damit ich jetzt er den Ort erzählen kann, wo die Deutschen den grten Friedhof der Welt geschaffen haben – sagt sie. Minsk, eine kalte Novembernacht des Jahres 1943. Deutsche Soldaten führen hunderte von Menschen zu Güterwaggons, die sich bald in Richtung des von den Deutschen besetzten Polen in Bewegung setzen werden. Der Zugtransport fährt direkt ins Konzentrations-und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Unter den im Lager Angekommenen befindet sich ein dreijähriges Mädchen namens Ludmiła Boczarowa, wie damals unsere Zeit-zeugin hieß. – Ich kam ins Lager, weil Doktor Mengele mich als Versuchskaninchen f seine pseudomedizinischen Versuche brauchte – erklärt Lidia Maksymowicz. Obwohl sie ein Kleinkind war, erinnert sich Frau Maksymowicz sehr gut daran, was im Lager geschah: – Die Deutschen haben die Häftlinge bis aufs Letzte ausgebeutet. Uns Kindern wurde Blut f ihre an der Front kämpfenden Soldaten abgenommen. Das war schrecklich! Sie selbst überlebte nur, weil sie nach Auschwitz als gesundes und kräftiges Kind kam. – Aber unterernährte und ausgemergelte Kinder aus den Ghettos hatten dieses Glk nicht. Sie starben massenhaft, von deutschen Peinigern zu Tode gequält – erzählt Frau Maksymowicz. Im Januar 1945 wurde die kleine Lidia (damals Ludmiła) von ihrer Mutter getrennt, die im sog. Todesmarsch gen Westen evakuiert wurde. Das Mädchen blieb in Auschwitz bis zum 27. Januar, als die Rote Armee das Lager befrei-te. Danach nahm sich das in Oświęcim (Auschwitz) wohnhafte Ehepaar Rydzikowski des sich seinem Schicksal überlassenen Kindes an. Nach einigen Monaten der Hölle von Auschwitz fand Lidia nun ein richtiges Zuhause. Ihre leibliche Mutter hat Frau Maksymowicz nach 17 Jahren ausfindig gemacht. Trotzdem entschied sie sich, nicht nach Weißrussland zurückzukehren. Wie sie erklärt, habe sie zu viel der polnischen Familie zu verdanken, die sie aufgenommen und erzogen hatte. Als Auschwitz-Überlebende flt sich Lidia Maksymowicz verpflichtet, er all die Gräueltaten, die dort passiert sind, zu berichten. Es waren doch die Deutschen, die am 1. September 1939 Polen erfielen, hier ihre Konzentrations- und Vernichtungslager errichteten, die zum Hinrichtungsort f viele Vker wurden. Deshalb halte ich die Formulierung „polnische Lager” f eine Schande. Sie kränkt und verletzt alle Polen empört sich Frau Maksymowicz. Aus diesem Grund trifft sie sich oft mit der heutigen Jugend, um sie über die damaligen Zeiten aufzuklären. Manchmal sind unter ihren Zuhörern junge Deutsche. – Sie sind schockiert und knen es oft nicht glauben, dass ihre Großväter zu solchen Grausamkeiten fähig waren. Ich selbst frage mich oft, wie dies mlich war. Warum fanden sich in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, das so viele bermte Perslichkeiten hervorgebracht hatte, auch Leute, die sich anderen gegener als Bestien in Menschengestalt erwiesen? – Die Antwort auf diese Frage weiß Lidia Maksymowicz nicht. Foto Andrzej Banaś Fryderyk Jakimiszyn: Ich habe mehr Tote als Lebendige gesehen – Das waren deutsche Lager. Von Deutschen errichtet und verwaltet. Die Deutschen haben dort Menschen gemordet und ihre Leichen verbrannt. Die Polen hatten erhaupt nichts zu sagen. Es gab dort keine Polen – nur anonyme La-gernummern – betont mit Nachdruck der 1927 in Krakau geborene Fryderyk Jakimiszyn, Soldat der polnischen Heimatarmee und ehemaliger Häftling u.a. des KZs Groß-Rosen. Den 16. Januar 1945 wird Herr Jakimiszyn bis zu seinem Lebensende nie vergessen. Als ein knapp 17jähriger Junge durchschritt er an diesem Tag das Tor des in Schlesien gelegenen KZs Groß-Rosen. Dessen ganzes Gebiet war mit elektrisch geladenem Stacheldraht eingezäunt. In der Luft schwebte der süßliche Geruch der im Krematorium ohne Pause vebrannten Leichen. – Schläge und Hunger waren an der Tagesordnung, sie bewirkten unter den Leuten Furcht, Demigung, Hilflosigkeit und mit der Zeit ein Gefl der Lebensmigkeit – erinnert sich Fryderyk Jakimiszyn. Dazu kam die mörderische Arbeit bei der Gewinnung von Granitblöcken im Steinbruch. – Sie dauerte von morgens bis abends, dabei sind unzählige Häftlinge ums Leben gekommen – erzählt der Krakauer. Am 8. Februar 1945 fing die Evakuierung des KZs Groß-Rosen an. Infolgedessen kam Fryderyk Jakimiszyn in das nördlich der Kreisstadt Nordhausen gelegene Außenlager des KZs Buchenwald Mittelbau-Dora, wo sich ein riesengroßes deutsches Rüstungswerk befand. Anfang April 1945, als die Alliierten aus diesem Grund das Lager bombardierten, unternahm er einen Fluchtversuch. Herr Jakimiszyn: – Obwohl die Wachposten auf Fliehende mit Maschinengewehren schossen, gelang es mir und ein paar anderen den Zaun zu erwinden. Die Freude über die gelungene Flucht dauerte aber nicht lange. Fryderyk wurde von einer deutschen Patrouille gefasst und ins KZ Sachsenhausen-Oranienburg abtransportiert. Dort hat man ihn zur Arbeit im Henkel-Werk, dem Nebenlager vom KZ Sachsenhausen-Oranienburg, eingeteilt. – Man konnte spen, dass die Nazis die nahende Niederlage ahnten. Trotzdem herrschte bis zum Schluss die deutsche Ordnung und Strenge. Das willkliche Ten von Wehrlosen gehte zum Alltag – erinnert sich der ehemalige KZ-Insasse. Als der Befehl zur Evakuierung des Lagers erging, was unter dem Wachpersonal Chaos und Panik verursachte, trennte er sich von seiner Häftlingsgruppe und versteckte sich in einem Grubenhaus, das als Luftschutzbunker diente. Nach zwei Stunden wurde er jedoch geschnappt und zum Appellplatz des Lagers geführt. Herr Jakimiszyn sollte öffentlich erschossen werden als Strafe für den Ungehorsam und, um andere Häftlinge von Fluchtversu chen abzuschrecken. Als ich dem Tod in die Augen sah, kniete ich vor einem deutschen Soldaten nieder. Ich weinte und flehte um Vergebung. Ich kste seine Stiefel und schrie: „Ich bin ein Kind, bin nur 17 Jahre alt, ich will zu meiner Mama”. Immer wieder bekam ich Schläge mit Gewehrkolben, aber ich spte nichts. Das war eine wahre Verzweiflungstat. Sie war jedoch erfolgreich, ich entkam wie durch ein Wunder dem Tod erzählt er. Im Rahmen der Evakuierung des KZs zog Fryderyk Jakimiszyn mit anderen Leidensgenossen dann im Todesmarsch Richtung Berlin, auf dem Hunger, Krankheiten und Erschfung einen hohen Tribut an Menschenleben forderten. Die nicht mehr marschfähigen Häftlinge wurden mit einem Schuss in den Hinterkopf gettet. – Die umliegenden Straßengräben quollen buchstäblich vor Leichen er. In Lagern und bei Evakuierungsmärschen habe ich mehr Tote als Lebendige gesehen – so die bittere Schlussfolgerung des Zeitzeugen Jakimiszyn. Foto Andrzej Banaś Stefan Lipniak: Die Nachwelt darf diese Zeit keinesfalls »so« in Erinnerung behalten – Es gab so viele deutsche Verbrechen, so viel Leid mussten wir ertragen, so viele Tränen wurden vergossen… Warum spricht man also jetzt von „polnischen Konzentrationslagern”? – fragt der 92jährige Stefan Lipniak, der im Krieg durch die Hölle von vier deutschen KZs ging. Die Hölle begann mit dem Zwangsarbeitslager Klein Mangersdorf, wo der Zeitzeuge Lipniak ein Jahr verbrachte. Die sorglose Jugend endete für ihn in der Nacht vom 26. auf den 27. Juni 1941, als er – knapp 17 Jahre alt – von der Gestapo festgenommen und anschließend dorthin deportiert wurde. Er war einer von vielen, die durch die Einlieferung ins KZ den Plänen der Organisation Schmelt zum Opfer fielen. Die Organisation wurde gegründet und geleitet vom ranghohen SS-Offizier Albrecht Schmelt.Die Pläne der Organisation sahen den Zwangsarbeitereinsatz in Oberschlesien vor, der für die Entstehung von groß geplanten Bauten für das Dritte Reich tausende kräftige Männer benötigte. – Aber die Deutschen wollten auch das polnische Volk vernichten, indem sie unzählige junge Polen sich zu Tode schuften ließen – sagt Herr Lipniak, der damals beim Bau der Reichsautobahn in der Nähe von Gleiwitz arbeiten musste. Die Häftlinge in Klein Mangersdorf schufteten tagtäglich 14-16 Stunden. F die Arbeit, die er ihre Kräfte ging, bekamen sie nur eine kleine Mahlzeit. Selbst der Schlaf brachte ihnen keine Rast und Erholung – in den Lagerbaracken wimmelte es von Läusen und Wanzen. Zu den nächsten Stationen im Lagerleben von Stefan Lipniak gehörten das Arbeitserziehungslager Rattwitz und das Arbeitslager Markstädt, bis er 1944 schließlich nach Auschwitz III verbracht wurde. Diese Bezeichnung geht auf das Konzentrationslager Monowitz zurück, das sechs Kilometer östlich vom Stammlager Auschwitz I entfernt war und auf dessen Gelände sich die Buna-Werke der I.G. Farben AG befanden. Der Chemiekonzern profitierte enorm von der billigen Arbeitskraft, d.h. von der Zwangsarbeit von Häftlingen. In Monowitz kam auf den jungen KZ-Insassen genau das zu, was er schon von vorher kannte: Enge, Hunger, Gewalt und Tod. In meinem Arbeitskommando starben vor Erschfung täglich drei bis vier Leute. Die Toten wurden sofort durch neue Gefangene ersetzt erzählt Herr Lipniak. Nach Schätzungen des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau kamen bei der Zwangs arbeit für die IG-Farben ca. 10 Tausend Häftlinge um. Trotz der mörderischen Arbeit und unmenschlichen Lagerbedingungen kam Stefan Lipniak mit dem Leben da-von. Als die Ostfront näher rückte, wurden die Lager Auschwitz, Birkenau und Monowitz in Richtung Westen evakuiert. Die «Evakuierung« wurde für die Betroffenen zum Todesmarsch. Während dieses Todesmarsches unternahm Stefan Lipniak einen dramatischen, aber erfolgreichen Fluchtversuch. – Der Frost war unglaublich hart und man hat uns gen Westen zu Fuß getrieben. Sehr viele Leute sind vor Kälte, Erschfung und Hunger umgekommen (…). Die nicht mehr Marschfähigen wurden von den SS-Männern skrupellos erschossen – berichtet er. Nach dem Kriegsende baute sich Herr Lipniak ein Leben auf, in dem seine große Leidenschaft, der Fußball, eine wichtige Rolle spielte. Über 20 Jahre war er Schiedsrichter in der Regionalliga in Kleinpolen. An die traumatischen Erlebnisse aus der Vergangenheit erinnert er sich jedoch bis ins kleinste Detail. Daher bricht seine Stimme, wenn er jetzt die Formulierung „polnische Konzentrationslager” hört: – So was zu behaupten, ist einfach schreck-lich. Es wäre verwerflich und unverzeihlich, wenn die Nachwelt diese Zeit auf eine so lnerische Weise in Erinnerung behalten wde. Foto Andrzej Banaś Halina Krzymowska: Sie behandelten uns wie den letzten Dreck Jedesmal, wenn in der ausländischen Presse Informationen er „polnische Konzentrationslager” auftauchen, empt sich Halina Krzymowska sehr. – Diese Formulierung zeugt von einer beispiellosen Ignoranz gegener den damaligen tragischen Zeiten. Die ehemalige Insassin des KZ Ravensbrück appelliert deshalb – Man muss ihnen die Wahrheit sagen! Lakonisch, aber gleichzeitig drastisch, schildert Frau Krzymowska den grausamen Alltag der KZ-Häftlinge. – Die Deutschen behandelten uns wie den letzten Dreck. Wir waren ihren Hieben und Tritten hilflos ausgeliefert. Unser Tod wurde einfach in Kauf genommen und hätte keine Sau interessiert – erzählt sie. Diese Behandlung erlebte Frau Krzymowska gleich nach der Deportation ins KZ. Ich erhielt meine Lagernummer, den Winkel und wurde plzlich ohnmächtig. Als meine Mutter dies sah, flehte sie einen ranghohen SS-Mann um Hilfe an. Andere Deutsche fielen sofort er sie her und sie bekam eine Spritze, die sie ten sollte. Meine Mama hat sie nur wie durch ein Wunder erlebt schildert die ehemalige «Ravensbrückerin«. Halina Krzymowska wurde 1927 in Warschau in der Familie von Jan Kamienobrodzki, einem hohen Beamten der Polnischen Bank AG, geboren. Als kleines Mädchen besuchte sie dieselbe Schule wie die Töchter von Marschall Józef Piłsudski. Im September 1939 sollte die 12jährige Halina ihre Ausbildung im Gymnasium fortsetzen. Dies verhinderte jedoch der Ausbruch des Krieges. Er hatte zur Folge, dass die Reserven der Polnischen Bank dringend ins Ausland mussten. Die kleine Halina samt Mutter und Bruder verließ Polen im Konvoi der Bank. Die Familie fuhr über die Ukraine, Rumänien und Jugoslawien, bis sie letztendlich die Insel Krk (das heutige Kroatien) erreichte. Dort, fern von Kriegsereignissen, führten die Kamienobrodzkis einige Jahre ein ruhiges Leben, das 1944 schlagartig sein Ende nahm. Auf Krk landeten die deutschen Truppen und alle auf der Insel lebenden Polen wurden festgenommen. Die Familie wurde getrennt. Halina und ihre Mutter wurden ins KZ Ravensbrück verschickt. Der kleine Bruder musste dagegen in ein Krakauer Waisenhaus. Frau Krzymowska: – Es war eine Sammelstelle f polnische Kinder, die im Rahmen der NS-Rassenpolitik germanisiert werden sollten. Man zwang sie, spezielle Schulungen zu absolvieren, um sie einzudeutschen. Im KZ-Ravensbrück arbeitete Halina Krzymowska in einer Nähwerkstatt, sie musste auch beim Bau der Gebäude für SS-Offiziere arbeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wohnte sie mit ihrer Mutter eine Zeitlang in Schweden. Dann kehrten die beiden Frauen nach Krakau zurück. Die dramatischen Kriegserlebnisse aus der Jugendzeit zer-störten nie Halinas Lebenslust und Lebensfreude. Jahrelang war sie sehr aktiv – ging dem Bergtourismus und dem Skifahren nach. Zusammen mit ihrem Mann machten sie einmal eine Motorradtour durch ganz Polen. Als Zeitzeugin teilt Frau Krzymowska gern ihre Erinnerungen. Sie ist fest davon erzeugt, dass man ununterbrochen an die Wahrheit erinnern muss. – Die Vernichtungslager wurden zwar auf polnischen Gebieten errichtet. Aber diese Gebiete wurden im Krieg von den Deutschen erobert und besetzt und es waren die Deutschen, die in diesen Lagern Millionen von Menschen ermordeten. Das muss man allen unermlich ins Gedächtnis rufen – konstatiert Halina Krzymowska. Foto Andrzej Banaś Foto Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau Polen – das Land, das im Zweiten Weltkrieg den höchsten Preis zahlten musste Die deutsche Besetzung Polens (1939–1945) begann mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939. In diesem größten militärischen Konflikt aller Zeiten erlitt Polen die schwersten Verluste. Man geht von über sechs Millionen Personen, d. h. insgesamt 22 Prozent der polnischen Bevölkerung aus, die ihr Leben lassen mussten oder zwangsumgesiedelt wurden. Die Besetzung war äußerst brutal und hinterließ irreparable Schäden, die teilweise bis heute spürbar sind. Der deutsche Angriff auf die Zweite Polnische Republik am 1. September kam völlig überraschend. Polen hat-te trotz des heldenhaften Kampfes von Soldaten und Zivilisten angesichts der militärischen Überlegenheit der Wehrmacht keine Chance. Seine Verbündeten (Frankreich und Großbritannien) ließen das Land im Stich. Gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes vom 23.August 1939 marschierten am 17. September sowjetische Truppen in Ostpolen ein. Beide totalitären Systeme, das nationalsozialistische und das stalinistische, teilten am 28. September den polnischen Staat unter sich auf. Aus der Tatsache, dass die polnische Regierung nach dem deutschen Überfall keine Kapitulation unterschrieben hatte, resultierten brutale Vergeltungsmaßnahmen. Sie hatten vor allem Massenmorde an der Zivilbevkerung zur Folge. Trotzdem war Polen das einzige Land im von den Deutschen besetzten Europa, das niemals mit dem Feind kollaborierte. Auf die dem Deutschen Reich direkt angeliederten oder von Nazi-Deutschland besetzten polnischen Gebiete (das Generalgouvernement) kam eine besonders brutale Herrschaft zu. Militärführung und Zivilverwaltung waren in erster Linie auf zwei Ziele bedacht: auf die absolute »Germanisierung« durch »Entpolonisierung« und die maxi-male Ausbeutung des polnischen Territoriums. Bezogen auf die »östlichen Gebiete« sagte der Generalgouverneur Hans Frank, er habe einen Befehl erhalten, in dem »eine Ausnutzung des Landes durch rksichtslose Ausschlach-tung, Abtransport aller f die deutsche Kriegswirtschaft wichtigen Vorräte, Rohstoffe, Maschinen, Fabrikationseinrichtungen usw., Heranziehung der Arbeitskräfte zum Einsatz im Reich, Drosselung der gesamten Wirtschaft Polens auf das f die notdftigste Lebenshaltung der Bevkerung unbedingt notwendige Minimum« gefordert wurden. Die Deutschen bekämpften rksichtslos jedes Anzeichen des Polentums. Bei geringstem Widerstand gingen sie brutal vor. Unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht wurden die polnische Presse, die Nachrichtenagenturen und auch der polnische Rundfunk beseitigt. In der Folge wurden sämtliche Hochschulen und Oberschulen sowie alle Universitäten geschlossen. Polnische Kulturger wurden zerstt oder systematisch gepldert und ins Deutsche Reich verbracht. Die Orts-und Straßennamen wurden verdeutscht. Viele Hauptmärkte erhielten die Bezeichnung »Adolf-Hitler-Platz«. In polnischer Sprache erschienen nur deutsche Zeitungen, in denen man die f die NS-Zeit charakteristische gotische Frak-turschrift verwendete. Die vom Dritten Reich annektierten Gebiete sollten »entpolonisiert«, »entjudet« und vollständig »germanisiert« werden. Die sogenannte Intelligenzaktion bezweckte die planmäßige Ermordung polnischer Eliten. Etwa 100 Tsd. der polnischen Oberschicht (u.a. Wissenschaftler, Lehrer, Ärzte, Juristen, pensionierte Militärs sowie Priester) wurden entweder erschossen oder in Konzentrationslager deportiert, wo nur eine Handvoll von ihnen dem Tod entkam. Selbst die jüngsten polnischen Bürger fielen der »Germanisierung« zum Opfer. Schätzungen zufolge wurden ca. 150.000 Kinder ihren polnischen Familien entrissen und gezielt in deutsche Familien gege-ben, um sie einzudeutschen. Die Sorge um sein Leben und das seiner Nächsten begleitete jeden Polen tagtäglich. Der deutsche Ag-gressor missachtete alle internationalen Rechte, darunter auch das Kriegsvkerrecht. Es wurden selbst bei kleinsten Vergehen harte Repressalien angewendet. Die neuen Machthaber straften auch grundlos –um Angst in der Bevkerung hervorzurufen und die vollständige Unterordnung zu erzwingen. Im Zeitraum 1939-1945 ließ jedersechste polnische Bgersein Leben Prozentsatz der Opfer des Zweiten Weltkrieges Polen – je nach Land 17% Deutsches UdSSR Jugoslawien Reich Griechenland 10% 14% 11% 7% Quelle: historyplace.com Foto Wikipedia Foto Wikipedia Der Polnische Untergrundstaat –ein weltweites Phänomen im Kampf gegen Nazi-Deutschland Im Zeitraum 1939-45 wurden mehrere Untergrundbewegungen in den von den Deutschen besetzten Ländern gegrdet. Der Polnische Untergrundstaat war jedoch eine einzigartige Erscheinung in der Ge-schichte des europäischen Untergrundes. Im Zuge der deutschen Unterdrückung organisierte sich der Polnische Untergrundstaat sehr schnell. Seine Gründung und Legitimierung basierten auf dem Gedanken, dass die Besetzung Polens durch das Deutsche Reich und die Sowjetunion völkerrechtswidrig war. Daher wurden auch alle Institutionen der Besatzungsmächte als illegal angesehen und durch parallele polnische Institutionen »gedoppelt«. Die Organisationsstrukturen umfassten sowohl den militärischen als auch den zivilen Bereich. Die Anzahl der Mitglieder betrug mehrere hunderttausend Personen. Jegliche Kollaboration des Untergrundstaates mit dem Dritten Reich war – anders als z. B. in Frank-reich oder Belgien – ausgeschlossen. Geführt wurde der Untergrundstaat aus London, wo die polnische Exilregierung ihren Sitz hatte. Am schnellsten organisierte sich der militärische Bereich. Die polnischen Militärs hatten bereits im Septem-ber 1939 die Untergrundorganisation »Służba Zwycięstwu Polsce« (»Dienst für den Sieg Polens«) gegründet, die letztendlich den Namen »Armia Krajowa« (»Heimatarmee«) annahm. Die AK umfasste bis zu 380.000 Mitglie-der und war damit die grte militärische Widerstandsorganisation im Zweiten Weltkrieg – nicht nur in Polen, sondern in ganz Europa. Zu den militärischen Aufgaben des Polnischen Untergrundstaates gehörten vor allem Sabotageakte und Spionagearbeit für die Alliierten. Ein Schwerpunkt war die Gründung und Ausbildung einer regulären polnischen Armee für die Machtübernahme nach der deutschen Niederlage. Die AK unterstützte darüber hinaus den Aufstand im Warschauer Ghetto. Im Rahmen des Polnischen Untergrundstaates funktionierten auch die Zivilgerichtsbarkeit und die Militärgerichte. Es fanden konspirative Gerichtsverhandlungen statt. Schäden zulasten der Republik Polen oder eigennützige Denunziation und Auslieferung von Juden bestrafte die polnische Untergrundjustiz mit dem Tod. Jeder der Kollaboration Beschuldigte wurde als Landesverräter eingestuft. Von der polnischen Untergrundjustiz wurden einige hundert Todesurteile gegen Beamte und Mitarbeiter der deutschen Besatzungsmacht verhängt und vollstreckt. Als Beispiel kann hier der Chef des Warschauer Distrikts im Generalgouvernement, SS-und Polizeiführer Franz Kutschera, angeführt werden. Für den beispiellosen Terror und die Massenhinrichtungen, die er an tausenden polnischen Zivilisten durchführen ließ, verurteilte man den Kriegsverbrecher zum Tode. Bei einem geplanten Attentat wurde er in Warschau erschossen. Da die deutschen Besatzer jeden Widerstand rigoros ahndeten, war die Strafe für die Zugehörigkeit zum Polni schen Untergrundstaat besonders hoch: Tod oder Deportation in ein KZ. Dieses Schicksal traf den Mitbegründer und Anführer der Heimatarmee, General Stefan Rowecki, Deckname »Grot« (»Speerspitze«). Nach seiner Ver haftung durch die Gestapo wurde er im Juli 1943 ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Bei den dortigen Verhören versuchte man ihn zu überreden, ein Bündnis zwischen der AK und den deutschen Streitkräften gegen die Sow jetunion zu schließen und den Warschauer Aufstand abzubrechen. General Rowecki lehnte dies entschieden ab und wurde infolgedessen 1944 ermordet. In den deutschen Lagern kamen ebenfalls viele polnische Zivilisten um, die sich f den Untergrund einsetzten. Gemeint sind hier 9.000 Lehrer und 600 Wissenschaftler, die in konspirativen Bildungseinrichtungen auf allen Ebenen etwa eine Million Polen ausgebildet hatten. Von Repressalien blieb auch die Kirche nicht verschont. Pater Maximilian Kolbe war einer von tausenden polnischen Geistlichen, die in den KZs ihr Leben ließen. Quelle: http://www.niedziela.pl/artykul/102086/nd/ W-70-rocznice-powstania-Tajnej Foto Wikipedia Foto Wikipedia Hle auf Erden. Deutsche Konzentrations-und Todeslager Polnische Konzentrations- und Vernichtungslager hat es nie gegeben. Die Orte, an denen Millionen von unschuldigen Opfern gefoltert und ermordet wurden, waren voll und ganz eine deutsche Schfung. Die Deutschen hatten ein Lagernetz aufgebaut, das zum Werkzeug der Liquiderung von verschiedenen Nationalitäten wurde. Juden sowie Roma und Sinti verurteilte man auf Grund der Abstammung zur kollektiven Vernichtung. Polen – vorgesehen als billige Arbeitskraft – dienten und starben in Arbeitszwangs- und Konzentrationslagern. Alles begann in den 1930er Jahren im Deutschen Reich. Gleich nach Hitlers Machtergreifung entstanden erste, improvisierte Haftstätten für „Volksfeinde”. Das erste Konzentrationslager wurde nahe München, bei Dachau eingerichtet. Zunächst diente es der Inhaftierung von politischen Gegnern des NS-Regimes. Dann wurden dort auch deutsche Juden, Zeugen Jehovas und Homosexuelle gefangengenommen. Die Insassen wurden regelmäßig durch Sklavenarbeit zu Grunde gerichtet oder erschossen. Mit Kriegsbeginn und dem Verlauf des Krieges füllte sich das Lager mit Häftlingen aus allen vom Dritten Reich besetzten europäischen Ländern. Das KZ Dachau wurde zum »Muster« für andere Lager – auch für diejenigen, die die Deutschen nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 in diesem Land errichtet haben. Freitag, der 14. Juni 1940. Der Tag, an dem der erste Häftlingstransport im KZ Auschwitz eintrifft und die Hle auf Erden beginnt: 728 polnische politische Gefangene durchschreiten das Tor des Konzentrationslagers Auschwitz. Die Angekommenen wurden sofort jeder Hoffnung beraubt. – Ihr seid hier nicht in ein Sanatorium gekommen, sondern in ein deutsches Konzentrationslager. Sollte es einem von euch hier nicht gefallen, kann er gleich in den Draht gehen. Hier lebt man längstens drei Monate. Falls es Juden gibt, dann knen sie zwei Wochen leben. Geistliche – einen Monat. Es gibt f einen Häftling nur einen Weg hier raus: durch den Schornstein des Krematoriums. – mit solchen Worten begrte sie der Lagerfrer Karl Fritzsch. Knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn ordnete Reichsfüher SS Heinrich Himmler am 27. April 1940 den Bau eines Konzentrationslagers in Auschwitz an. Das Ziel war präzise formuliert: die Ausrottung des polnischen Volkes. In den ersten zwei Jahren nach Errichtung des Lagers wurden dorthin vorwiegend Polen deportiert. Mit der Zeit wurde Auschwitz zu einem riesigen Lagerkomplex. Er bestand schließlich aus dem Konzentrationslager Auschwitz I (Stammlager), dem am 1. März 1942 in Betrieb genommenen Vernichtungslager Birkenau (Konzentrations-lager Auschwitz II), das der industrialierten Vernichtung von größtenteils Juden diente und dem KZ Auschwitz III Monowitz. Dort mussten Häftlinge für die I.G. Farben AG Zwangsarbeit verrichten. Der Lagerkomplex umfasste darüber hinaus etwa 40 weitere Außenlager, wo den KZ-Insassen zugunsten der NS-Wirtschaft Schwerstarbeit abverlangt wurde. Unerträglicher Hunger, mderische Arbeit, Misshandlungen, Folter und pseudomedizinische Versu-che waren in Auschwitz an der Tagesordnung. In den Häftlingen sahen die Nazis keine Menschen mehr, sondern anstelle ihrer Namen nur nichts bedeutende Lagernummern. Daher nahmen die Lager-ärzte skrupellos medizinische Experimente vor, in deren Verlauf die Häftlinge meist qualvoll starben. Eins davon war die sog. »Rtgenkastration«, bei der – zwecks Sterilisierung – männliche Hoden und l Auschwitz-Birkenau: 1 100 000 l Treblinka: 800 000 l Belzec: 450 000 l Sobibor: 170 000-180 000 l Kulmhof: 200 000 l Lublin/Majdanek: 80 000 l Stutthof: 63 000 l Groβ-Rosen: 40 000 l Warschau: 20 000 l Plaszow: 7 000-8 000 weibliche Eierstke mit X-Strahlen bestrahlt wurden. Als Folge davon erlitten die Betroffenen im Intimbereich schwere Verbrennungen und am ganzen Kper eiternde, schlecht heilende Wunden. Die das Lager bewachenden SS-Männer behandelten die ohnehin durch Unterernährung und Schwerstarbeit geschwächten Häftlinge auf brutalste Weise. Die von ihnen verhängten Strafen waren abgestuft. Zu den leichtesten Strafen gehörte das Schlagen mit einem Holzstock. Das geschah öffentlich, auf einem Tisch («Vollstreckungsmöbel«) in Anwesenheit aller beim Appell stehenden Blöcke. Die zweite mögliche Strafe war der „Steh-bunker“. Wer sie bekommen hatte, wurde mit drei anderen Häftlingen über Nacht in einen 1m² großen Raum gezwängt, wo es kaum Platz und Luft zum Atmen gab. Am Morgen wurden die vier Häftlinge freigelassen und zur Arbeit mitgenommen, um für die nächste Nacht wieder eingeschlossen zu werden. Das Strafmass betrug normalerweise fünf Nächte, konnte aber auch erheblich höher sein. Die dritte Strafe war der „Pfahl“. Der Aufgehängte, dessen Hände hinter dem Rücken zusammengebunden waren und dessen Füsse den Boden nicht be-rührten, musste in dieser Haltung mehrere Stunden ausharren. Dies hatte die Auskugelung der Schultern zur Folge, so dass der Häftling nicht mehr arbeitsfähig war, was wiederum den Tod in der Gaskammer bedeutete. Die Vergasung zählte zu einer der vielen Methoden der Ttung der KZ-Insassen. Umgebracht wurden sie auch durch Erschießen, fentliches Erhängen oder durchs Verhungern. Insgesamt haben die Deutschen in Auschwitz etwa 1,1 Mio. Menschen ermordet: Personen unterschiedlicher Weltanschauung, Bildung sowie verschiedenen Glaubens. Es waren Männer, Frauen, Kinder und alte Leute, die 20 Nationen angeht hatten. Solche verbrecherischen Aktivitäten betrieben die Deutschen nicht nur im KZ Auschwitz, sondern auch in ande-ren KZs in den von ihnen besetzten Gebieten Polens. 1940 wurde in Schlesien das KZ Groß-Rosen errichtet, in dem bis 1945 ca. 40 Tsd. Menschen ermordet wurden. Groß-Rosen folgte dann 1941 das KZ Majdanek (offiziell: KL Lublin) mit einer Gesamtopferzahl von etwa 80 Tsd. Ebenfalls zu nennen sind: KL Plaszow (ca. 7–8 Tsd. Op-fer), KL Stutthof (ca. 63 Tsd. Opfer) und KL Warschau (ca. 20 Tsd. Opfer). Die Lagerführung bildeten Angehörige der SS, zu den sog Funktionshäftlingen »avancierten« deutsche Berufsverbrecher, die vorher in den im Reich gelegenen KZs inhaftiert worden waren. Eine besondere Kategorie der Lager im deutsch besetzten Polen stellten die Vernichtungslager dar. Sie wurden in erster Linie zwecks sofortiger Liquidierung aller europäischen Juden erbaut. Dort kamen aber auch Sinti und Roma sowie sowjetische Kriegsgefange um. Zu den «klassischen« Vernichtungslagern zählen heutzutage Kulmhof am Ner, Belzec, Sobibor und Treblinka, die ab Ende 1941 (Kulmhof) und ab 1942 (Belzec, Sobibor und Treblinka) betrieben wurden. Das KL Auschwitz und KL Lublin sind dagegen sowohl als Konzentrations- als auch als Vernichtungslager einzustufen. Die Vernichtungslager dienten dem Zweck, möglichst viele Personen in möglichst kurzer Zeit zu töten. In Kulmhof am Ner wurden die Opfer in sog. Gaswagen umgebracht, die man als fahrbare Gaskammern einsetzte. Den Tod bewirkten die durch Kfz-Motoren produzierten Abgase, die in die dicht verschlossenen Transportfahrzeuge eingeleitet wurden. Auf diese Art und Weise kamen 200 bis 300 Tsd. u.a. deutsche, österreichische, französische, belgische oder holländische Juden ums Leben. Zu den Ermordeten zählten ebenfalls polnische Bewohner von Pflegeheimen aus Lodz (polnisch: Łódź) und Leslau (polnisch: Włocła-wek) sowie polnische Kinder aus der Region Zamość. Die meisten Opfer von Belzec (450 Tsd.) und Sobi-bor (170-180 Tsd.) waren jüdischer Abstammung. Dasselbe gilt für das Vernichtungslager Treblinka, dem größten nationalsozialistischen Vernichtungslager im deutsch besetzten Polen. Die Gesamtzahl der dort ermordeten Menschen liegt deutlich über 800 Tsd. Ab Dezember 1942 begannen die Deutschen, die Vernichtungslager Schritt für Schritt abzubauen. Die letzten existierten bis Januar 1945 und wurden dann aufgelöst. Die Gaskammern wurden zerstört, Teile der Baracken ließ man per Bahn transportieren. Die Gelände wurden umgepflügt und mit Gras bepflanzt… Außer den Konzentrations- und Vernichtungslagern errichteten die Deutschen auf polnischen Ge-bieten unzählige andere Lager, von denen die Zwangsarbeitslager die häufigsten waren und bis zum Kriegsende existierten. Ihre Insassen wurden u.a. beim Straßenbau, beim Bau der Befestigungsan-lagen oder in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Todesrate unter den Häftlingen war enorm hoch –bedingt durch Hunger, Misshandlungen und katastrophale Lebensbedingungen. Foto Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau Fotos Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, Andrzej Banaś/Jaskółcza 4 Witold Pilecki: Freiwillig nach Auschwitz, um über deutsche Greueltaten zu berichten – Auf unsere Kfe schlugen nicht nur die Gewehrkolben der SS-Männer – es traf uns noch viel mehr. Unser gewohntes Weltbild samt den von uns geglaubten Werten wurden brutal mit den Fen zertrampelt – so beschrieb Witold Pilecki, einer der grten Helden in der polnischen Geschichte, seine Ankunft im KZ Auschwitz. Er ging dorthin freiwillig, um unter Gefangenen den Widerstand zu organisieren sowie – als Augenzeuge – die Außenwelt zu informieren. 1940 wusste der Polnische Untergrundstaat wenig über die deutschen Aktivitäten in Auschwitz. Man hielt es für ein Internierungslager oder ein großes Gefängnis. Um Informationen über das Lager aus dem Inneren zu sam-meln und dramatische Meldungen von Einzelpersonen über die dort stattfindenden Grausamkeiten glaubwürdig zu machen, wurde ein kühner Plan gefasst. Ein Untergrundsoldat soll sich nach Auschwitz einschleusen lassen. Der Kavallerie-Offizier Witold Pilecki, Teilnehmer des Polnisch-Sowjetischen Krieges (1919-21) und des Sep-temberfeldzuges (1939) meldete sich zur Ausführung dieser lebensgefährlichen Mission freiwillig. Am 19. September 1940 ging er bei einer Razzia in Warschau auf die Straße und wurde zusammen mit anderen unschuldigen Zivilisten von den Deutschen gefangengenommen. Nach zwei Tagen, in der Nacht auf den 22. Sep tember, durchschritt Pilecki das Auschwitzer Lagertor mit der berüchtigten Aufschrift „Arbeit macht frei”. Auf seinem Unterarm wurde die ihm zugewiesene Häftlingsnummer 4859 tätowiert. Die ersten Tage flte ich mich vlig benommen. Es war so, als wäre ich von der Erde auf einen anderen Planeten katapultiert worden konstatierte Pilecki, unmittelbar konfrontiert mit der unvorstellbaren Brutalität der deutschen Lagerfunktionäre. Foto Andrzej Banaś Ungeachtet dessen nahm er im KZ sofort eine konspirative Tätigkeigt auf. Pilecki hatte die Geheime militärische Organisation (polnisch Tajna Organizacja Wojskowa, kurz TOW) gegründet und geleitet. Organisier-te Selbsthilfe unter Insassen, Verbesserung ihrer Moral und Kommunikation mit der Außenwelt waren ihre Hauptaufgaben. Die TOW arbeitete auch an der Vorbereitung ihrer Truppen auf einen Aufstand, der zum Ziel hatte, die Kontrolle über das Lager zu übernehmen. Pilecki und seine Leute lieferten der polnischen Heimatarmee regelmäßig Berichte über den Lageralltag. Dies geschah über Hältlinge, denen die TOW bei Fluchtversuchen half. Nach über zwei Jahren in der Hölle von Auschwitz entschloss Pilecki sich, selber die Flucht zu ergreifen, was ihm in der Nacht vom 26. zum 27. April 1943 in einer waghalsigen, minutös geplanten Aktion gelang. Nach der Flucht verfasste Witold Pilecki einen detaillierten Bericht über die Zustände in Auschwitz und über die Aktivitäten der TOW. Zum Rittmeister (polnisch rotmistrz) befördert, setzte er in der Heimatarmee den Kampf gegen die deutschen Aggressoren fort, u.a. beim Warschauer Aufstand. Danach durchlitt er mit anderen Aufständischen das Stammlager (Stalag) Lamsdorf und das Offizierslager (Oflag) Murnau. Nach Kriegsende kehrte Pilecki in das von der Roten Armee befreite Polen zurk. Zwar waren die Deutschen weg, aber f das Land bedeutete das keinen Sieg. Wie die meisten patriotisch gesinn-ten Untergrundsoldaten wollte Witold Pilecki kein sowjetisch dominiertes Vaterland. Daher setzte er seinen Kampf fort – diesmal gegen die kommunistischen Besatzer. Von den neuen Machthabern am 8.Mai 1947 festgenommen, während des Verhs bestialisch gefoltert, wurde ihm anschließend ein Schauprozess gemacht. Abgestempelt als „Faschist“ und „Agent des Imperialismus“ und wegen angeblicher Spionage verurteilte das kommunistische Gericht den polnischen Helden zum Tode. Am 25. Mai 1948 wurde das Todesurteil durch ein Genickschuss vollstreckt. Pileckis Auschwitz-Berichte waren die ersten glaubwürdigen Zeugnisse über das tragische Schicksal der KZ-Insassen sowie die dortigen deutschen Verbrechen, die offiziell in die Hände der Alliierten geraten sind. Doch diese blieben passiv, weil man seine Berichte für übertrieben hielt. Witold Pilecki, Foto vor dem Zweiten Weltkrieg Auschwitz-Häftling Witold Pilecki Fotos Wikipedia, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau Pater Maximilian Kolbe: Freiwillig in den Tod, um einen Menschen und die Menschlichkeit zu retten Der 29. Juli 1941 im KZ Auschwitz. Die Sirenen heulen schrill. Die hart schuftenden Häftlinge horchen auf. Die Deutschen ordnen einen Sonderappell an. Alle Arbeitskommandos werden akribisch durchgezählt. Fazit: Ein Insasse vom Block 14A fehlt. Flucht aus dem KZ. F die Lagerordnung ein klarer Fall. F den Entflohenen msen als Vergeltungsmaßnahme zehn Häftlinge mit dem Tod ben. Die Häftlinge des Blocks 14A stehen aufgereiht den ganzen Tag und die ganze Nacht still. Am darauffolgenden Morgen erscheint vor den wegen der nächtlichen Kälte durchgefrorenen Männern der Lagerführer Karl Fritzsch. Er geht langsam durch die Reihen, fixiert alle mit den Augen, deutet ab und zu mit der Hand auf einen Unglücklichen hin und sagt: »Du!« So sortiert er zehn Häftlinge für den Hungertod im berüchtigten »Hungerbunker« des Blocks 11 aus. Einer von ihnen ist Franciszek Gajowniczek, Sergeant der polnischen Armee, Teilnehmer des Septemberfeldzuges 1939 und aktives Mitglied der polnischen Untergrundbewegung. Ich war vollkommen fassungslos. Ich brach in lautes Wehklagen um meine Frau und meine Kinder aus, erinnert er sich Jahre danach. Bis zum Kriegsende blieb der 1995 verstorbene Gajowniczek KZ-Insasse, zuletzt im KZ Sachsenhausen, wohin er im Oktober 1944 verlegt worden war. Foto by Andrzej Banaś/Jaskółcza 4 Plötzlich kommt Bewegung in die Gefangenen. Einer von ihnen verlässt seine Reihe und bahnt sich den Weg nach vorn. Ein unerhörter, sonst von den Deutschen im Lager mit der sofortigen Erschießung bestrafter Frevel. Aber diesmal – wie durch ein Wunder – geschieht nichts. Der Franziskaner Maximilian Kolbe steht nun von Angesicht zu Angesicht Fritzsch gegenüber und bittet diesen, den Platz von Gajowniczek einnehmen zu dürfen. – Was will dieses polnische Schwein?, fragt der wütende SS-Hauptsturmführer seinen Assistenten. – Ich mhte anstelle dieses Gefangenen sterben, erwidert Kolbe und weist auf Gajowniczek hin. – Wer bist du? – Ein polnischer katholischer Priester. – Warum wollen Sie f ihn sterben?, fragt der Lagerführer nach. Auf einmal siezt er den Häftling, eine in deutschen Konzentrationslagern undenkbare Sache. – Er hat Frau und Kinder. – Bitte gewährt! Die zehn Männer werden zum »Hungerbunker« abgeführt. Kolbe geht als Letzter und unterstützt dabei einen Leidensgenossen, der schwach auf den Beinen ist. Alle zehn werden nackt in eine kleine Zelle eingepfercht, um dort langsam zu verhungern. Nach einigen Tagen wird die Bunkertür aufgemacht, um die Leichen zu beseitigen. Es stellt sich heraus, dass Pater Kolbe noch am Leben ist. Seinem Leben wird durch eine Phenolspritze, die der Funktionshäftling Hans Bock ihm injiziert, am 14. August 1941 endgültig ein Ende gemacht. Am nächsten Tag wird der Körper im Krematorium verbrannt. Die Aufopferung des polnischen Priesters zeigt, wie stark Nächstenliebe sein kann – selbst an dem von einer schrecklichen Schändung der menschlichen Würde so geprägten Ort wie Auschwitz. 1971 wurde der Ordensbru-der durch Papst Paul VI. seliggesprochen. Bei der Heiligsprechung am 10. Oktober 1982 durch den polnischen Papst Johannes Paul II., bei der auch Franciszek Gajowniczek zugegen war, wurde der Märtyrertod des Franziskaners anerkannt. Der freiwillige Tod von Maximilian Kolbe war ein Siegesakt. Die Menschenliebe errang einen Sieg dort, wo Hass und Menschenverachtung zu triumphieren schienen, hieß es in der Papstpredigt. Pater Maximilian Kolbe. Dezember 1937 Letztes Portraitbild, 1941 Gepostete Bilder stammen aus dem Niepokalanów-Archiv Polnische Helden. Die Gerechten in grausamen Zeiten In keinem anderen der von den Deutschen in der NS-Zeit besetzten Länder wurde die Hilfe f Juden so unerbittlich verfolgt und bestraft wie in Polen. Trotzdem haben tausende Polen ihre jischen Nachbarn vor der Schoah gerettet. »Juden, die das ihnen zugewiesene Wohngebiet unbefugt verlassen, werden mit dem Tode bestraft. Die gleiche Strafe trifft Personen, die solchen Juden wissentlich Unterschlupf gewähren. Anstifter und Gehilfen werden wie der Täter, die versuchte Tat wird wie die vollendete bestraft«, so hieß es im Wortlaut der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung im Generalgouvernement vom 15. Oktober 1941. Auf dem 1939 bis 1945 vom Deutschen Reich mili-tärisch besetzten Gebiet der Zweiten Polnischen Republik unter dem Generalgouverneur und NSDAP-Funktionär Hans Frank wurde dies gnadenlos durchgesetzt. Die Todesstrafe wurde auch beim kleinsten Versuch der Judenret-tung verhängt. Die Höchststrafe galt sogar für das Wissen um einen sich versteckenden Juden. Trotz der Bedrohung durch die Todesstrafe waren viele Polen bereit, Juden zu unterstüt-zen. Die geleistete Hilfe hatte häufig einen individuellen Charakter, nahm aber auch or-ganisierte Strukturen an. Im Dezember 1942 wurde der Hilfsrat für Juden (polnisch Rada Pomocy Żydom „Żegota”) gegründet. In Zusammenarbeit mit dem zivilen Bereich des Polnischen Untergrundstaates gaben sich beide Organisationen Mühe, die Juden mit Medikamenten und Nahrung zu versorgen sowie für sie Unterschlüpfe und gefälschte Urkunden zu beschafften. Die Zahl der polnischen Judenretter ist schwer zu berechnen. Um ein jüdisches Leben zu retten,mussten laut Schätzungen vieler Historiker über 10 Personen konspirativ zusam-Polen Holland menarbeiten. Das bestätigen Zeitzeugenberichte wie etwa der der polnischen Schrift-6620 5516 stellerin und Journalistin Hanna Krall, die das Warschauer Ghetto überlebte. In ihrem Text »Das Spiel um mein Leben« (polnisch: »Gra o moje życie«) schreibt sie: »Im Spiel um mein Leben wurden 45 Menschenleben aufs Spiel gesetzt.« Man nimmt an, dass Frankreich die Ukraine Belgien 3925 2544 1707 sich insgesamt einige tausend Polen auf unterschiedliche Art und Weise an der Rettung von Juden beteiligten. Ihr Leben riskierten alle Schichten der polnischen Gesellschaft: Stand: Januar 2016, Quelle: Yad Vashem Akademiker, einfache Arbeiter und Bauern, sowohl Großstädter als auch Dorfbewohner. Genauso schwer abzuschätzen ist die Zahl der Polen, die infolge der Rettung der Juden ihr Leben lassen mussten. Die jüngsten Untersuchungen dokumentieren ca. 760 Fälle von Personen, die aus diesem Grund von den Deut schen getötet wurden.Viel höher ist dagegen die Zahl derer, die man dafür inhaftiert oder in ein KZ deportiert hat. Eines der tragischsten und symbolischsten Beispiele für die Aufopferung für jüdische Mitbürger ist die Familie Ulma aus dem kleinen Dorf Markowa. Da die Ulmas im Haus acht Juden versteckten, wurden alle Familienmitglie der Józef Ulma, seine schwangere Frau und ihre sechs Kinder von den Deutschen ermordet. Das Heldentum der polnischen Judenhelfer dokumentiert Yad Vashem – »die Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust«. Mit der Medaille »Gerechter unter den Völkern«, auf der der signifikante Spruch »Wer auch nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt« eingraviert ist, sind bisher über 6.600 Polen ausgezeichnet worden. Das ist die größte Anzahl von nicht jüdischen Einzelpersonen, die während des Zweiten Weltkrieges ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten. Die lebendige Erinnerung an die heldenhafte Haltung der Polen sind unzählige Bäume, die in der »Allee der Gerechten unter den Völkern« in Yad Vashem gepflanzt wurden. Die Ulmas. Symbol des polnischen Heldentums angesichts deutscher Bestialität Sie waren eine liebevolle Familie. Er arbeitete hart, um seine Familie zu ernähren, sie war Hausfrau, kmerte sich um Haushalt und Kinder. Ihre außerordentliche Haltung während der deutschen Besatzung in Polen machte sie zum Symbol des Heldentums. Zum Symbol f alle Polen, die f die Rettung der Juden ihr Leben opferten. Gepostete Bilder mit freundlicher Genehmigung des Familie Ulma-Museums der polnischen Judenretter in Markowa Die Ulmas wohnten in Markowa im Südosten Polens. Obwohl Józef nur vier Klassen der Volksschule und einen Kurs für Landwirte absolviert hatte, war er ein vielseitig begabter Mensch. Er war u. a. Gerber, Imker und Fotograf und züchtete Obstbäume und Seidenraupen. Unentgeltlich arbeitete er in einer Bibliothek. Seine Frau Wiktoria war mit den sechs Kindern voll eingespannt. Die Ulmas führten zwar ein bescheidenes, aber ein ruhiges und glückliches Leben. Sie setzten es aufs Spiel, als sie Mitte 1942 zwei sich versteckenden jüdischen Familien – insgesamt acht Personen – in ihrem Haus Unterschlupf gewährten. Józef und Wikoria waren sich bewusst, dass sie diesen Schritt mit dem Tod bezahlen müssen, sollten die Deutschen davon erfahren. Gemäß der damals geltenden Gesetze wurde die Todesstrafe – Sippenhaftung inklusive – beim kleinsten Versuch der Rettung von Juden verhängt. Am kühlen Morgen des 24. März 1944 fuhren vor das Haus der Ulmas vier Fuhrwagen vor. Die Angekommenen waren acht deutsche Gendarmen und die sog. Blaue Polizei (von der deutschen Verwaltung aufgestellte Polizei einheiten, die aus Mitgliedern der Vorkriegspolizei Polens gebildet wurden). Während die polnischen Polizisten draußen blieben, handelten die Deutschen schnell und rücksichtslos. Sie drangen ins Haus ein und brachten sofort alle versteckten Juden um. Anschließend schleppten sie Józef und die hochschwangere Wiktoria auf den Hof und erschossen sie vor den Augen ihrer Kinder. Für die sechs Kinder kannten die Verbrecher ebenfalls keine Gnade. Die achtjährige Stanisława, der fünfjährige Władysław, der vierjährige Franciszek, der dreijährige Antoni und die anderthalbjährige Maria teilten bald das Schicksal ihrer Eltern. Seht, wie die polnischen Schweine verrecken, die die Juden versteckten, soll einer der Gendarmen, Joseph Kokott, bei der Exekution gerufen haben. Was veranlasste die Ulmas, ihr Leben zu riskieren, um andere zu retten? Niedrige Beweggründe wie etwa die Absicht, sich zu bereichern, kann man zweifellos ausschließen, weil bei den ermordeten Juden viele Ersparnisse Das Innere des Hauses der Familie Ulma - Rekonstruktion. Foto: Sławomir Kasper. gefunden wurden. Alles deutet darauf hin, dass das Hauptmotiv ihrer Handlung schlicht und einfach das Mitgefühl für ihre jüdischen Nachbarn war. Józef Ulma half bereits zuvor einer anderen vierköpfigen jüdischen Familie, die sich im nahe gelegenen Wald versteckt hatte. Er baute für sie ein Grubenhaus und versorgte sie regelmäßig mit Essen. Die Deutschen entdeckten das Versteck jedoch und brachten die Juden um; den Helfer konnten sie nicht ausfindig machen. Von den Werten, von denen die Ulmas sich haben leiten lassen, zeugt die bei ihnen zu Hause gefundene Bibel, in der zwei signifikante Fragmente markiert wurden. Das eine war das unterstrichene Kapitel »Das Gebot der Liebe. Der barmherzige Samariter«, das andere die Frage: »Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten?« 1995 wurden Jzef und Wiktoria Ulma postum mit der Medaille »Gerechter unter den Vkern« geehrt. 2010 hat sie der polnische Präsident Lech Kaczyński mit dem Orden der Wiedergeburt Polens »Polonia Restituta« ausgezeichnet. Im Vatikan findet zurzeit der Akt der Seligsprechung dieser Familie statt. In Markowa wurde im März 2016 das den Namen der Familie tragende Museum der polnischen Judenretter erfnet. Gepostete Bilder mit freundlicher Genehmigung des Familie Ulma-Museums der polnischen Judenretter in Markowa fot. Andrzej Banaś/Jaskółcza 4 Der Umbruch ist gekommen Ein Gespräch mit Dr. Jarosław Szarek, dem Leiter des Instituts für Nationales Gedenken (polnisch Instytut Pamięci Narodowej IPN) Eine der wichtigsten Aufgaben des IPN ist es, der Verbreitung von historischen Len entgegenzuwirken. Wie wird das Institut unter Ihrer Leitung diese Aufgabe erflen? Das IPN hat über 2200 Mitarbeiter, darunter viele renommierte Wis-senschaftler. Dieses riesige Potenzial möchten wir nutzen, um vor al-lem langfristige bildungsbezogene Aktivitäten durchzuführen, die die jüngste polnische Geschichte bekannter machen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die wahre Geschichte Polen weltweit zu verbreiten. Das können wir jedoch nur dann erreichen, wenn wir uns zuerst selbst diese Geschichte erzählen. Wie will das Institut sie vermitteln? Vor allem dadurch, dass wir als Erstes mit der sog. Pädagogik der Beschämung, die jahrelang kultiviert wurde, Schluss machen. Die nationale Identität muss auf einer positiven Überlieferung basieren. Dies ist sogar in der Präambel der Verfassung der Republik Polen festgelegt, in der es heißt, wir seien verpflichtet, alles Wertvolle aus dem über tausendjährigen Erbe an die kommenden Generationen weiterzugeben. Die Periode seit der Wende, also seit den 1990er Jahren, war vor allem eine Zeit der Flucht vor der Geschich-te. Wenn überhaupt, dann wurden hauptsächlich nur die dunklen Kapitel der Geschichte gezeigt. Sprüche wie etwa „Wählen wir die Zukunft!” waren sehr attraktiv und halfen dabei, Wahlen zu gewinnen. Es dominierte die Botschaft, das Polentum sei eine Last und wir müssten Europäer werden. Eine der Konsequenzen solch einer Einstellung ist heutzutage die Verbreitung des Begriffs «polnische Konzentrationslager«. Hätten wir damals dagegen entschieden protestiert, würde es heute niemand wagen, deutsche Lager, deutsche Todesfabriken als «polnisch« zu bezeichnen. Über Jahre haben wir es versäumt, über unsere außergewöhnliche Geschichte zu berichten. Über das Phäno-men des Polnischen Untergrundstaates, über die heldenhaften Soldaten der Heimatarmee. Über die Tatsache, dass Polen mit den Aggressoren nie kollaboriert hat. Bisher haben wir keinen Film über den Rittmeister Witold Pilecki gedreht, der von den westlichen Historikern für einen der sechs tapfersten Menschen des Zweiten Welt-krieges gehalten wird. Wann beginnen wir, das Versäumte nachzuholen? Das passiert gerade. Hauptsächlich dank der jungen Generation, die sich stark für die polnische Geschichte einsetzt. Die jungen Leute tragen stolz T-Shirts in den Nationalfarben oder mit patriotischen Symbolen. Dank ihnen wird der Patriotismus wieder alltäglicher. Die Änderung der Sichtweise sowie der Geschichtsauffassung sieht man auch auf anderen Ebenen. Als Beispiel können unsere diplomatischen Vertretungen angeführt werden. Jetzt unterstützen sie viel besser die Auslandspolen, die gegen die Formulierung «polnische Lager« protestieren. Früher war das nicht immer der Fall. Ein anderes Beispiel ist das Danziger Museum des Zweiten Weltkrieges. Ursprünglich sollte es den Krieg universell darstellen. Heute hat man die Notwendigkeit erkannt, dass das Museum die Kriegsgeschichte aus polnischer Perspektive zeigen soll. Foto Instituts für Nationales Gedenken Die Conditio sine qua non ist es, jedes Mal entschieden zu reagie-ren. In den meisten Fällen resultiert diese Formulierung aus der geschichtlichen Ingnoranz. Jedes Publikmachen und Berichtigen dieses Fehlers hat also eine edukative Funktion und muss zum Hauptelement der polnischen historischen Politik werden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das journalistische Milieu sich ständig ändert, ständig er-greifen neue Leute diesen Beruf. Daher, um die Verbreitung der Informationen er »polnische Lager« zu stoppen, msen wir auch präventiv handeln. Die wichtigste Sache ist, dass unsere historische Message ständig dort präsent ist, wo ausländische Journalisten und Politiker sich informieren. Ich meine hier vor allem die von ihnen im jeweiligen Land meistbesuchten Websites, wie z.B. die wikipedia. Wer er den Zweiten Weltkrieg schreiben oder sprechen mhte, der wird diese Quelle bei seinen Recherchen bestimmt gebrauchen. Wir sollten zweispurig verfahren. Erstens, daf sorgen, dass solche Wissensportale echte Informationen beinhalten. Zweitens, zusätzliche Erklärungen hinzufen, z.B. warum der Ausdruck »polnische Lager« – historisch gesehen – vlig fehl am Platz ist. Den-jenigen, die in der Geschichte nicht bewandert sind, msen wir helfen, indem wir sie er geprte Wissensquellen informieren. Wir msen ein System der „Entlung” der Geschichte schaffen Ein Gespräch mit Professor Andrzej Nowak, dem Leiter des Instituts für Geschichte Osteuropas an der Jagiellonen-Universität Warum benutzen ausländische Medien so oft die Formulierung »polnische Todeslager«? Es gibt drei Hauptgründe dafür. Der erste Grund liegt in der Ignoranz der westlichen Gesellschaften, die sich für die Geschichte unserer Region nicht interessieren. Das dürfen wir ihnen aber nicht verübeln, son-dern versuchen, die Wissenlücken durch edukative Handlungen auszufüllen. Am effektivsten tut das einfach die Massenkultur. Der zweite Grund ist die Arroganz. Ein Überlegenheitsgefühl von einem Teil der westlichen Eliten, die überzeugt sind, im Osten würden minderwertige Menschen, gar Barbaren wohnen. Sie glauben fest an Folgendes: hätten die Deutschen in England oder in den USA ihre Lager errichten lassen, dann hätten alle Engländer und Amerikaner unter Lebensgefahr ihre jüdischen Nachbarn verteidigt. Und was hat der osteuropäische Pöbel gemacht? Sie voller Eifer in die Hände der deutschen Besatzer ausgeliefert. Solche Überzeugungen sind eine Form von Ras- sismus, gegen den man kämpfen muss. Zum Schluss gibt es den dritten Grund. Wegen diesem Grund lässt sich gegen die Formulierung «polnische Lager« am schwierigsten ankämpfen. Es geht hier nämlich nicht um Stereotypen und Wissensdefizite, sondern um reale Interessen, die auf verschiedenen Ebenen zu entschlüsseln sind. Welche Ebenen meinen Sie? Die erste Ebene ist finanzieller Natur. Der deutsche Staat hat im Rahmen einer Einigung mit den Holocaust-Opfern gigantische Entschädigungen ausgezahlt und vorsorglich weitere finanzielle Ansprüche unterbunden. Die unersättliche Gewinngier bewirkt jedoch, dass viele Personen, die sich als ehemalige Opfer ausgeben, solche An-sprüche erheben. Diese Ansprüche richten sich an andere Völker und Gesellschaften und leider konzentriert sich diese spezifische Attacke auf Polen. Gerade auf ein Land, das – im Gegensatz zu Litauen oder der Ukraine – nie in einer organisierten Form mit den deutschen Massenmördern zusammengearbeitet hat. Die zweite Ebene betrifft deutsche Interessen. Sie sind nicht finanzieller, sondern eher moralischer Natur. Es geht um die Entlastung der deutschen Verantwortung für den Völkermord. Um das Teilen dieser Verantwortung mit anderen Ländern. Das ist ein sehr wichtiges Ziel der deutschen historischen Politik. Damit ist ein konkretes, politisches Interesse verbunden: die Erneuerung der deutschen Dominanz in Europa und das Heraustreten aus dem langen Schatten des Zweiten Weltkrieges. Die geltende Narration lautet hier: vielleicht hätten die Deutschen doch etwas in die Wege geleitet, aber ohne die Polen hätten sie nichts gemacht. Foto Damian Klamka/ East News Schließlich haben wir mit dem dritten Szenario zu tun. Damit ist die russische – vorher sowjetische – imperiale Politik gemeint. Gleich nach dem Krieg lag Moskau viel daran, der Welt zu zeigen, dass Polen und an-dere östliche Völker keines Mitgefühls würdig seien und nichts anderes als die Herrschaft der UdSSR verdient hätten. Heutzutage wird diese Politik fortgesetzt. Ein gutes Beispiel dafür ist Jedwabne. Was dort passiert ist, ist zweifellos sehr traurig und darf nicht vergessen werden. Die Jedwabne-Geschichte wurde aber durch die Pro-pagandamaschinerie aufgebläht – im Dienste russischer Interessen. Daher mag es nicht verwundern, dass die meisten Reprints über Jedwabne in der russischen Presse zu lesen waren. Die dahinter stehende Absicht ist leicht abzulesen: Schaut, die Polen sind Massenmörder und Antisemiten. Und trotzdem maßen sie sich an, uns wegen Katyń anzuprangern und andere moralische Schuld Rußlands zu brandmarken. Wie knen wir dem erfolgreich entgegenwirken? Wir sollten versuchen, uns auf dem „Markt der historischen Narrationen” zu behaupten und uns dort mit dem wahren Bild des Zweiten Weltkrieges durchzusetzten. Wir sollten das polnische Heldentum in Erinnerung rufen, unseren beispiellosen Entschluss, uns dem deutschen und dem ihn unterstützenden sowjetischen To-talitarismus widersetzt zu haben. Die wirksamsten Mittel zu diesem Zweck sind Medien, Massenkultur sowie internationale Partner, die uns dabei – sei es des Gewinns wegen oder aus ideellen Gründen – unterstützen würden. Wir haben weltweit viele begabte Freunde, ihr Talent steht uns also zur Verfügung. Wir müssen ein sorgfältig organisiertes System der „Entlügung” der Geschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Ge-schichte des Zweiten Weltkrieges, schaffen. In den letzten 27 Jahren war unsere historische Politik schwach, reaktiv. Erst dann, wenn ein Problem aufgetaucht war, versuchten wir zu reagieren. Das war natürlich richtig, aber sich allein darauf zu beschränken, ist ineffektiv. Die jetzige Regierung versichert, die historische Politik wde zu einer ihren Prioritäten zählen. Sehen Sie Chancen auf effektivere Aktivitäten im Kampf gegen historische Len er uns? Die jetzige Regierung ist seit zehn Monaten am Ruder. Das ist eine zu kurze Zeit, um diese Aktivitäten einschätzen zu können. Das wird erst in ein paar Jahren möglich sein. Aber gewisse Deklarationen neh-men schon reale Formen an, zum Beispiel das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe besitzt jetzt mehr finanzielle Mittel für historische Filme. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn ein Streifen á la eine Hollywood-Superproduktion über Rittmeister Pilecki, der durch seine Taten wahre Bewunderung weckt, gedreht würde. Foto Andrzej Banaś/Jaskółcza 4 Besucher aus dem Ausland staunen er polnischeTapferkeit Ein Gespräch mit Dr. Mateusz Szpytma, dem stellvetretenden Leiter des Instituts für Nationales Gedenken* Die Ulmas wurden wegen des Versuchs, Juden zu retten, ermordet. Dadurch wurden sie zum Symbol einer außergewnlichen Tapferkeit und Aufopferung. Und eine solche Haltung war im deutsch besetzten Polen keine Ausnahme, oder? In der Tat gab es definitiv mehr Familien, die Juden im Zweiten Weltkrieg geholfen haben. Infolge dieser unternommenen Hilfeleistung haben die Deutschen ca. 1 Tsd. Polen getötet. Die Ulmas wurden zum Symbol, weil wir ausnahmsweise viel über ihr Leben und die Umstände ihres dramatischen Todes wissen. Außerdem waren sie wirklich großartige Menschen. Lässt sich erhaupt feststellen, wie viele Polen sich an der Judenrettung im besetzten Polen beteiligt haben? Leider gibt es keine klare Antwort auf diese Frage. Der Grund dafür ist, dass wir bisher keine diesbezüglichen For-schungen durchgeführt haben. Laut Schätzungen geht man jedoch davon aus, dass die Polen im Krieg 40 Tsd. bis sogar 100 Tsd. Juden gerettet haben könnten. Um ein jüdisches Leben zu retten, mussten ca. 10 Personen zusammenarbeiten. Man kann also vorsichtig annehmen, dass mindestens 400 Tsd. Polen in die Judenrettung involviert waren. Das ist wirklich eine imposante Zahl, vor allem wenn man bedenkt, dass selbst für die kleinste Unterstützung von Juden ihren Helfern die Todesstrafe drohte. Nicht nur ihnen direkt, sondern – im Rahmen der damals geltenden Sippenhaftung – auch ihren Nächsten. Weiß die Welt davon? Im Ausland ist diese Frage leider so gut wie unbekannt.Ausländische Besucher des Familie Ulma-Museums sind meistens überrascht, wenn sie mit eigenen Augen mit der Tatsache konfrontiert werden, wie viele Polen ihren Mut und Tapferkeit bewiesen haben. Zumal Polen weltweit leider immer noch als ein antisemitisches Land angesehen wird. Wie kann man gegen dieses Stereotyp ankämpfen? Zuerst müssen wir in puncto Judenrettung genau recherchieren und dann die Forschungsergebnisse veröffentlichen und so die Öffentlichkeit davon in Kenntnis setzen. Zum Beispiel mit Hilfe von thematischen Museumsausstellun-gen. Ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass diesbezügliche Filmproduktionen entstehen sollten. Jede mit der Judenrettung verbundene Geschichte ist nämlich derart faszinierend, dass sie sich ideal für ein Filmdrehbuch eig-net. Was noch enorm wichtig ist: wir müssen wir bei jedem Versuch der Geschichtsfälschung entschieden reagieren und auf Edukation setzen. Je mehr das Ausland über den Zweiten Weltkrieg weiß, desto weniger Verzerrungen der Geschichte. Und dadurch umso weniger den Polen gegenüber ungerechte Bezeichnungen wie «polnische Lager«. *Mateusz Szpytma – Mitbegrder des Familie Ulma-Museums f polnische Judenretter in Markowa Foto Instituts für Nationales Gedenken Ich glaube, der beste Weg besteht darin, Fakten zu klären und Berichtigungen zu fordern. Mit solchen schriftlichen Erklärungen und Dementis sollten sich unsere staatlichen Institutionen, die Botschaften und die NGOs beschäftigen. Die zweite wichtige Frage ist die Aufklärungsarbeit. Wir msen er Kriegserfahrungen, deutsche Besatzung und ferner er den Zweiten Weltkrieg aus polnischer Sicht konsequent informieren. Zum Beispiel unsere „Gerechten unter den Vkern” und unsere großen Helden wie Jan Karski oder Witold Pilecki der Weltfentlichkeit ins Gedächtnis zurkrufen. Dasselbe soll f das Martyrium der Polen im Zweiten Weltkrieg gelten. Sehr wenige Personen, sogar hierzulande, wissen er deutsche, vor allem f polnische Bevkerung gedachte Konzentrationslager, wie etwa Mauthausen-Gusen, wo einige tausend Polen, darunter zum großen Teil die polnische In-telligenz, ermordet wurden. Robert Kostro, Leiter des Museums der polnischen Geschichte (polnisch Muzeum Historii Polski, kurz MHP) Der Schlsel zur Verbsserung der Lage liegt in unserer täglichen Arbeit. Ich meine hier die Edukation nicht nur der meinungsbildenden Kreise, sondern vor allem die Aufklärung der Abentausenden von Besuchern des Museums. Ich lege große Hoffnung darauf, weil zu uns sehr viele junge Leute kommen. Mir scheint, dass die Situation sich mit der Zeit deutlich bessern wird. Einige Dinge lassen sich nämlich nicht per Gesetz und von heute auf morgen ändern. Dr. Piotr M.A. Cywiński, Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau Fotos Andrzej Banaś, MHP/Mariusz Szachowski, Wikipedia Inhaltsverzeichnis Lüge über »polnische Todeslager« Ehemalige Häftlinge Karol Tendera: Geschichtsfälscher müssen bestraft werden Julian Wieciech: Man muss der Welt die Wahrheit zeigen 3 6 8 Lidia Maksymowicz: Der größte Friedhof der Welt 10 Fryderyk Jakimiszyn: Ich habe mehr Tote als Lebendige gesehen Stefan Lipniak: Die Nachwelt darf diese Zeit keinesfalls »so« in Erinnerung behalten Halina Krzymowska: Sie behandelten uns wie den letzten Dreck Polen unter deutscher Besatzung Polen – das Land, das im Zweiten Weltkrieg den höchsten Preis zahlten musste Der Polnische Untergrundstaat – ein weltweites Phänomen im Kampf gegen Nazi-Deutschland Hölle auf Erden. Deutsche Konzentrations-und Todeslager 12 14 16 20 22 24 Witold Pilecki: Freiwillig nach Auschwitz, um über deutsche Greueltaten zu berichten 28 Pater Maximilian Kolbe: Freiwillig in den Tod, um einen Menschen und die Menschlichkeit zu retten 30 Polnische Helden. Die Gerechten in grausamen Zeiten 32 Die Ulmas. Symbol des polnischen Heldentums angesichts deutscher Bestialität 33 Die Wahrheit er deutsche Lager Der Umbruch ist gekommen. Ein Gespräch mit Dr. Jarosław Szarek, dem Leiter des Instituts für Nationales Gedenken (polnisch Instytut Pamięci Narodowej IPN) 38 Wir msen ein System der „Entlung” der Geschichte schaffen. Ein Gespräch mit Professor Andrzej Nowak, dem Leiter des Instituts für Geschichte Osteuropas an der Jagiellonen-Universität 40 Besucher aus dem Ausland staunen er polnische Tapferkeit. Ein Gespräch mit Dr. Mateusz Szpytma, dem stellvetretenden Leiter des Instituts für Nationales Gedenken 42 Foto Andrzej Banaś „Wie war es wirklich? Deutsche Lager, polnische Helden” ist ein Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, dem Gebrauch der lenhaften Formulierung »polnische Konzentrationslager« entgegenzuwirken. Wir popularisieren das Wissen er die heldenhafte Haltung der Polen im Zweiten Weltkrieg. Unsere Helden sind ehemalige Häftlinge der deutschen Konzentrationslager. Die Berichte der Zeitzeu-gen sind ein Appell gegen die Verfälschung der Geschichte. Die Überlebenden legen ein wahres Zeugnis davon ab, wer in den Lagern die Opfer und wer die Täter waren. Das Projekt wird vom Łukasiewicz-Institut durchgeführt. Wir sind eine NGO, die verschiedene Initiativen ergreift, deren Zweck es ist, das Allgemeinwissen er Polen bekannter zu machen, insbesondere er die wichtigsten Personen und Ereignisse in unserer Geschichte. Wir sind ebenfalls sehr darauf bedacht, die historische Wahrheit im Falle von Geschichtsfälschungen ans Licht zu bringen. Wir erinnern an das Hel-dentum der Polen, fdern den Patriotismus und das Gefl, auf unser Land stolz sein zu knen. Projekt unter der Ehrenschirmherrschaft des Präsidenten der Republik Polen Andrzej Duda Projektpartner: DIE POLNISCH-DEUTSCHE PARLAMENTARIERGRUPPE Museum der polnischen Geschichte Historische Gesellschaft Das KARTA Zentrum Polnische Post Mitarbeit am Projekt: Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim, Institut für Nationales Gedenken ISBN 978-83-942750-7-5 Fotos Andrzej Banaś/Jaskółcza 4